Sonett in Deutsch | Schülerlexikon (2024)

Das italienische Sonett nutzt den Vers des „Endecasillabo“, des Elfsilblers. Im Deutschen besteht es aus meist fünffüßigen Jamben.
Zum Sonett gehören zwei vierzeilige Quartette (Aufgesang) und zwei dreizeilige Terzette (Abgesang). Das erste Quartett liefert die These, das zweite Quartett die Antithese. These und Antithese werden in den Terzetten zur Synthese zusammengeführt. In der neueren Lyrik wird diese strenge Form immer wieder durchbrochen durch drei vierzeilige Quartette und einem zweiteiligen Duett.

Die Reime in den Quartetten folgen dem Schema abba abba (umschlingender Reim) bzw. abab cdcd, während in den Terzetten unterschiedliche Reimstellungen möglich sind.

Mögliche Reimschemata des Sonetts:

abba – abba – cdc – dcd
abba – abba – ccd – eed
abba – abba – cde – cde
abba – abba – ccd – dee
abba – cddc – eef – ggf
abba – cddc – efg – efg
abba – cddc – efe – fef ...

Bedeutende Sonettdichter (u. a.):

  • FRANCESCO PETRARCA (1304-1374) mit seinen „Canzoniere“ (auch: „Rime in vita e morta di Madonna Laura“) und
  • WILLIAM SHAKESPEARE, dessen 154 Sonette in deutscher Übersetzung von SCHLEGEL/TIECK und in neuerer Zeit von PAUL CELAN (1920–1970) und FRANZ JOSEF CZERNIN (geb. 1952) vorliegen, außerdem
  • der Barockdichter ANDREAS GRYPHIUS (1616–1664) sowie
  • FRIEDRICH RÜCKERT (1788–1866, „ Geharnischte Sonette“)
  • AUGUST GRAF VON PLATEN (1796–1835, „Sonette aus Venedig“),
  • RAINER MARIA RILKE (1875–1926, „Sonette an Orpheus“),
  • GEORG HEYM (1887–1912),
  • PAUL BOLDT (1885 –1921) und
  • JOHANNES R. BECHER (1891–1958).

Jeder Vers besteht aus zehn (männliche Kadenz) oder elf (weibliche Kadenz) Silben.

Das Sonett ist am Hofe FRIEDRICHs II. (Kaiser des Heiligen Römischen Reichs) in Palermo mit dem Aufkommen der Sizilianischen Dichterschule (Scuola poetica siciliana) entstanden. Als Begründer gilt GIACOMO DA LENTINI (um 1210–um 1260), der die Gedichtform wahrscheinlich aus dem Minnegesang weiterentwickelt hat. Dass ausgerechnet ein kaiserlicher Hof als Geburtsort des Sonetts gilt, ist nicht verwunderlich. Im Mittelalter hielten sich Spielleute und Dichter gern an den Höfen von Fürsten und Königen auf. FRIEDRICHs Vater, Kaiser HEINRICH VI., war selbst auch ein Minnesänger, seine Dichtungen sind in der Manessischen Liederhandschrift überliefert. Der hoch gebildete Kaiser FRIEDRICH II. allerdings ist ist lediglich als Verfasser des Falkenbuches „De arte venandi cum avibus“ (Über die Kunst, mit Vögeln zu jagen) überliefert.

Erste Höhepunkte fand das Sonett in der italienischen Renaissance mit PETRARCA sowie in der englischen Klassik mit SHAKESPEARE (siehe PDF "Berühmte Sonette"):

WILLIAM SHAKESPEARE: Sonett Nr. 1

FROM fairest creatures we desire increase,
That thereby beauty's rose might never die,
But as the riper should by time decease,
His tender heir might bear his memory:

But thou, contracted to thine own bright eyes,
Feed'st thy light'st flame with self-substantial fuel,
Making a famine where abundance lies,
Thyself thy foe, to thy sweet self too cruel.

Thou that art now the world's fresh ornament
And only herald to the gaudy spring,
Within thine own bud buriest thy content
And, tender churl, makest waste in nigg*rding.

Pity the world, or else this glutton be,
To eat the world's due, by the grave and thee.


(SHAKESPEARES SONNETS. London: G. Eld for T. T. and sold by William Aspley, 1609)

Übersetzung des ersten Sonetts durch STEFAN GEORGE:

Von schönsten wesen wünscht man einen spross
Dass dadurch nie der schönheit rose sterbe:
Und wenn die reifere mit der zeit verschoss
Ihr angedenken trag ein zarter erbe.

Doch der sein eignes helles auge freit
Du nährst dein licht mit eignen wesens loh ·
Machst aus dem überfluss die teure-zeit ·
Dir feind und für dein süsses selbst zu roh.

Du für die welt jezt eine frische zier
Und erst der herold vor des frühlings reiz:
In eigner knospe gräbst ein grab du dir
Und · zarter neider · schleuderst weg im geiz.

Gönn dich der welt! Nicht wie ein schlemmer tu:
Esst nicht der welt behör · das grab und du!

(George, Stefan: Shakespeare. Sonette, Umdichtung, Vermehrt um einige Stücke aus dem liebenden Pilgrim, Gesamt-Ausgabe der Werke, Endgültige Fassung, Band 12, Berlin: Georg Bondi, 1931, S. 7)

Die Sonette SHAKESPEAREs reimen stets männlich, sie bestehen aus drei Quartetten und einem abschließenden Reimpaar.

Der deutsche Barock brachte mit FLEMING, OPITZ und GRYPHIUS (siehe PDF "Berühmte Sonette") drei sehr bedeutende Sonettdichter hervor.

ANDREAS GRYPHIUS: Abend

Der schnelle Tag ist hin/ die Nacht schwingt jhre fahn/
Vnd führt die Sternen auff. Der Menschen müde scharen
Verlassen feld vnd werck/ Wo Thier vnd Vögel waren
Trawrt jtzt die Einsamkeit. Wie ist die zeit verthan!
Der port naht mehr vnd mehr sich/ zu der glieder Kahn.
Gleich wie diß licht verfiel/ so wird in wenig Jahren
Ich/ du/ vnd was man hat/ vnd was man siht/ hinfahren.
Diß Leben kömmt mir vor alß eine renne bahn.
Laß höchster Gott mich doch nicht auff dem Laufplatz gleiten/
Laß mich nicht ach/ nicht pracht/ nicht lust/ nicht angst verleiten.
Dein ewig heller glantz sey vor vnd neben mir/
Laß/ wenn der müde Leib entschläfft/ die Seele wachen
Vnd wenn der letzte Tag wird mit mir abend machen/
So reiß mich auß dem thal der Finsternuß zu Dir.

(Gryphius, Andreas: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Herausgegeben von Marian Szyrocki und Hugh Powell, Tübingen: Niemeyer, 1963, S. 66.)

GRYPHIUS reimte in Alexandrinern, wie er es von seinen französischen Vorbildern her kannte. Somit erhielt er jambische Verse mit sechs Hebungen und einer deutlichen Zäsur nach der dritten Hebung.

Auch MARTIN OPITZ favorisierte den Alexandriner:

Sonnet

Du schöne Tyndaris / wer findet deines gleichen /
Vnd wolt' er hin vnd her das gantze landt durchziehn?
Dein' augen trutzen wol den edelsten Rubin /
Vnd für den Lippen muß ein Türckiß auch verbleichen,

Die zeene kan kein goldt an hoher farb' erreichen /
Der mundt ist Himmelweit / der halß sticht Attstein hin.
Wo ich mein vrtheil nur zue fellen würdig bin /
Alecto wird dir selbst des haares halber weichen /

Der Venus ehemann geht so gerade nicht /
Vnd auch der Venus sohn hat kein solch scharff gesicht;
In summa du bezwingst die Götter vnnd Göttinnen.

Weil man dan denen auch die vns gleich nicht sindt wol /
Geht es schon sawer ein / doch guttes gönnen soll /
So wündtsch' ich das mein feind dich möge lieb gewinnen.

(Opitz, Martin: Buch von der Deutschen Poetery, Breslau: David Müller, 1624, S. 41f.)

Im Stile dieser drei Dichter entstanden Unmassen an Sonetten, die allerdings oft recht unkünstlerisch gestaltet waren.

Bereits der Barockdichter- und theoretiker CHRISTIAN WEISE (1642–1708, bedeutendstes Werk waren seine 1692 erschienenen „Curiösen Gedancken Von Deutschen Versen“) hatte das Sonett als „Sclaverey mit den Reimen“ abgelehnt. Trotzdem versuchte auch er sich in dieser Kunst:

CHRISTIAN WEISE
Es wil ein iederman geschickte Lieder machen

Es wil ein iederman geschickte Lieder machen;
Doch wenn er einen Reim auf seine Tafel schreibt,
So fehlt der andre Vers, der ihm zurücke bleibt,
Und so besteht er nicht mit seinen halben Sachen.

Biß er den Vorrath gantz mit Kummer, Noth und Wachen
Aus allen Winckeln sucht, daß ihm nur eins bekleibt
Darbey er selbsten zwar die Zeit gar wol vertreibt;
Doch müssen destomehr die andern Leute lachen.

Darum bedenckt euch wol und nehmt die Lehren an
Die mein getreuer Sinn auff kurtze Sätze gründet:
Folgt mir und seyd bemüht, biß ihr auf dieser Bahn

Den kleinen Überdruß im Anfang überwindet:
Da wil ich fröhlich seyn, wenn ich mich rühmen kan,
Wie daß mein Fleiß sein Lob in euren Lobe findet.
(www.sonett-archiv.com/vz/weise.htm)

So dichtete ein gewisser CHRISTIAN HEINRICH POSTEL (1658–1705):

Als Pallas heiligs bild aus Troja ward entwendet,
Und ein mord-schwangres pferd durch Phobus mawren brach,
War heil und wolfahrt hin. Gluth, raub, mord, bann und schmach
Ward Priamus geschlecht’ und landern zugesendet.

So gings auch Griechenland. Es war sein Ruhm geendet
Wie Pindus schwester-schaar der Raserei zu schwach,
Das sie den Helicon verliessen allgemach,
Dieweil der Scythen Moond sein sonnenlicht geblendet.

Wo aber hemmete sich der vertriebnen lauff?
Das edle Welschland nam die Klugen schwestern auf,
Und Ward ihr Weisheit-sitz in Rom dem haupt der Erden

Da sie mit Ruhm ein neu Arcadien gestifft,
Wer zweifelt nun das sie kein Unglücks-fall mehr trifft,
Weil CLEMENS sich nun selbst muss zum Apollo werden?

Und PHILIPP VON ZESEN (1619–1689) schrieb neben alexandrinischen Sonetten auch jambische, allerdings keine Elfsilbler, sondern Neun- (bzw. Acht-)Silbler. Dem folgenden gab er einen gewichtigen Titel „Ein Klingendes, darinnen das zwei-bändige über-folkomne und folkomne reimband miteinander geschränket werden“:

Ihr frischen wasser, und ihr steine,
ihr bäume, felder, thal und wald,
ach hört! wie seuftz’ ich mannigfalt;
schreibt auf mein letztes wort, ihr haine,

seid meine schreiber, wie ich weine,
grabts in die rinden, daß es bald
bekleibe, wan ich werde kalt,
und leb-loß ähnlich bin dem scheine.

Ich sterb’ aus lauter grausamkeit
der Liebsten, welche mich (ach leid!)
hat niemahls wollen lieb-gewinnen.

Nun gute nacht, ihr meine lust,
ihr wälder, die ihr mier bewußt,
und oft erfrischt die matten sinnen!

(www.sonett-archiv.com/vz/zesen.htm)

Sonett in Deutsch | Schülerlexikon (2024)

FAQs

What does "my love is as a fever longing still" mean? ›

“Sonnet 147: My love is as a fever, longing still” Themes

The speaker says his “love” is like a disease that's robbed him of his ability to act rationally.

What is the meaning of the poem Sonnet 55? ›

Sonnet 55 is interpreted as a poem in part about time and immortalization. The poet claims that his poem will outlast palaces and cities, and keep the young man's good qualities alive until the Last Judgement.

What is Sonnet 87 talking about? ›

Synopsis. The poet admits that he no longer possesses the love of the youth, whose worth is too great for the poet, who could only possess him while the youth did not recognise his own worth. His time with the youth was like a dream of greatness from which he has now woken.

What is the main idea of sonnet 147? ›

Sonnet 147 is written from the perspective of a poet who regards the love he holds for his mistress and lover as a sickness, and more specifically, as a fever. The sonnet details the internal battle the poet has between his reason (or head) and the love he has for his mistress (his heart).

Is longing for love bad? ›

We find ourselves longing for love—for the perfect person who we feel will complete us. According to Cain, some people argue that this longing for love is natural, beautiful, and even sacred. It's one of our most important desires because we all want to belong and feel understood.

Is love and longing the same? ›

Love is the ability to receive as well as give and to be present for each other's vulnerabilities. Where love is, longing is not required. Longing is not really an emotion, it is rather a sentiment. Like melancholy, it has yet to develop into something that resembles a real set of emotions.

Is Sonnet 55 about love? ›

One of Shakespeare's best-known sonnets, “Sonnet 55” promises the speaker's lover everlasting life through verse. The speaker argues that poetry alone has the power to grant immortality.

Is Sonnet 55 a love poem? ›

If you read closely, you'll see that the sonnet is actually saturated in love—not a lot of declarations, but a ton of implied feelings. Love is the reason this poem is being written, the source of the praise, and the reason that this beloved's memory will outlast the entire world.

What is the imagery of death in Sonnet 55? ›

Death and Immortality

“Sonnet 55” is predominantly concerned the human desire to be remembered and immortalized in an attempt to overcome death. The poem suggests a strong awareness of the inevitability of death; images of the aging effects of time and the destructive results of “wasteful war” are emphasized.

What is the meaning of Sonnet 83? ›

Summary and Analysis Sonnet 83

Apparently having been reproached by the youth for withdrawing from competition against the rival poet, the poet argues that it is better not to write any poetry than to write falsely.

What is the summary of Sonnet 106? ›

Summary and Analysis Sonnet 106

Sonnet 106 is addressed to the young man without reference to any particular event. The poet surveys historical time in order to compare the youth's beauty to that depicted in art created long ago. Not surprisingly, he argues that no beauty has ever surpassed his friend's.

What is the meaning of Sonnet 24 Shakespeare? ›

Sonnet 24 This sonnet elaborates the metaphor of carrying the beloved's picture in one's heart. The poet claims that his eyes have painted on his heart a picture of the beloved. The poet's body is both the picture's frame and the shop where it is displayed.

What is the main idea of sonnet 145? ›

It is also the Shakespeare sonnet which uses the fewest letters. It is written as a description of the feelings of a man who is so in love with a woman that hearing her say that "she hates" something immediately creates a fear that she is referring to him.

What is the message of Sonnet 146? ›

Sonnet 146, which William Shakespeare addresses to his soul, his "sinful earth", is a pleading appeal to himself to value inner qualities and satisfaction rather than outward appearance.

What is the purpose of Sonnet 146? ›

Sonnet 146 , an austerely moralizing self-exhortation to privilege the inner enrichment of the soul over the outer decoration of the body, is also the site of the most virulent textual controversy of any of Shakespeare's poem in the sequence.

What is the meaning of the poem longing? ›

Title. The title of this poem, ''Longing,'' could mean that the author is longing for home, or it could be that the speaker is longing for acceptance and an end to racism. It is likely that both of these meanings fit the underlying longing that is related in the poem.

What is the deeper meaning of Sonnet 130? ›

Sonnet 130 is a kind of inverted love poem. It implies that the woman is very beautiful indeed, but suggests that it is important for this poet to view the woman he loves realistically. False or indeed “poetical” metaphors, conventional exaggerations about a woman's beauty, will not do in this case.

What is the meaning of the poem love in the asylum? ›

It seems to speak of a man who has been denied love for a very long time. He is in an "asylum" of lovelessness and rejection. But "at long and dear last" into this joyless world an invader has come!

What is the meaning of the poem after love? ›

Overall, the theme of 'After Love' deals with a desire to be vibrant and active, as well as an underlying warning of what may come to be if a poor situation is allowed to stand for too long.

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Name: Errol Quitzon

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